Im letzten Jahrhundert geschah im Unterwalt etwas zu diesem Zeitpunkt und dieser Region außergewöhnliches. Eine geistliche Erweckung kam zustande; Menschen erkannten ihren verlorenen Zustand, taten Buße und fahnden zum wahren Glauben an Jesus Christus. Da wir uns diese Tage an den wahren Grund der Osterfeiertage zurückbesinnen möchten, an die siegreiche Auferstehung unseres Heilandes Jesus Christus, wollte ich mit einer Berichtserie über die Erweckungszeit im Unterwald/Siebenbürgen starten. Unsere Berichte entstanden aus Niederschriften und mündlichen Überlieferungen von Zeitzeugen aus Großpold, Reußmarkt und Urwegen.

 

I.                    Im Jahr 1900 und danach

Im Sommer des Jahres 1900 saß eine junge Mutter mit ihrem kleinen, kranken Kind an der Brust in einem stattlichen Bauernhof in Großpold und weinte bitterlich. Ihr Mann war dem Alkohol verfallen und darüber verzweifelte sie. In ihrem großen Kummer suchte sie sich und ihrem Kind, das sie nicht zurücklassen wollte, das Leben zu nehmen. Sie wollte zuerst das Kind in  den tiefen Brunnen werfen und dann selbst nachspringen. So hatten es ja auch andere schon gemacht. In ihrer Verzweifelung dachte sie an Gott, den sie aber persönlich noch nicht kannte. Er aber kannte sie – und der verzweifelte Schrei: „Lieber Gott hilf mir in dieser schweren letzten Stunde!“ fand Erhörung. Als sie ihren Plan ausführen wollte, hörte sie eine Stimme ganz klar zu ihr reden: „Fürchte dich nicht, ich bin mit dir, weiche nicht, denn ich bin dein Gott, ich helfe dir, ich erhalte dich durch die rechte Hand meiner Gerechtigkeit.“ – Sie kannte dir Schriftstelle nicht. Aber sie hatte sie verstanden. Sie war damals 23 Jahre alt und hat sie bis zu ihrem Lebensende 1945 nicht mehr vergessen. In diesem Wort fand sie Trost und Kraft.

Acht Jahre gingen dahin im Wechsel von Kummer, Leid und Freud. Noch oft rief sie: „Mein Gott hilf mir!“ Immer wieder kam ihr dies Wort aus Jes. 41,10 in den Sinn.

Da, im November des Jahres 1908, kamen zwei fremde Herren in ihr Haus und redeten freundlich mit ihr von Heiland, der allen Menschen helfen kann und will. Die Mutter freute sich sehr, fasste Vertrauen und Mut zu den Herren und klagte ihnen ihr Leid: Ihr Mann war Trinker! Sie gaben ihr zwei Heftchen zu lesen und versprachen bald wieder zu kommen.

 

Zwei Wochen später war die Familie gerade beim Abendessen, auch der Mann war da und wieder etwas betrunken. Da kamen wieder zwei Herren, einer war von den beiden, die schon da gewesen waren. Der Hausvater, als gastfreundlicher Mann, nötigte sie gleich, am Abendessen teilzunehmen. Doch sie wollten nicht, bis sie ihr Anliegen dargebracht hätten. Der eine der beiden Missionare war mit Br. Marton, einem Kolporteur aus Heltau, schon von Haus zu Haus durch ganz Großpold gegangen. Es war Viktor Kolle. Der andere war Wilhelm Hempert von der Bibelschule „Chrischona“. Er stammt aus Westfalen. Sie wurden begleitet von Georg Acker, einem wohlhabenden Reusmärkter Bürger.

Sie stellten nun dem Hausvater die Frage: „Haben sie den Herrn Jesus lieb?“ Dieser antwortet laut: „Ja!, ich gehe jeden Sonntag zur Kirche und sehe ihn immer dort am Kreuz.“ „Das ist schön von Ihnen, Herr Sonnleitner, aber wenn der Jesus jetzt von Ihnen etwas haben möchte, würden Sie es ihm geben?“ – „Ja, alles!“

„Der Herr Jesus möchte Ihr Esszimmer für Versammlungen haben. Wollen Sie es ihm geben?“

Er versprach alles und lud die beiden Herren wieder zum Essen ein, ging in den Keller, holte Wein und bot ihnen an. Aber sie wollten keinen Tropfen trinken, obwohl er sie nötigte. So sagte er etwas gekränkt: „Wissen sie was? Wer nicht liebt Wein, Weib und Gesang, der ist ein Narr sein Leben lang.“ Doch die beiden Herren wollten lieber als Narren gelten als mit ihm trinken.

Sie besprachen nun weiter die ihnen wichtigen Versammlungsmöglichkeiten. Am Mittwoch sollte um 7 Uhr abends die erste Stunde in Großpold sein. Man lud aller Nachbarn und Freunde ein, schleppte Bänke zusammen, und alles geschah mit viel Freude und in großer Erwartung. Am Mittwoch war das große Zimmer voll von neugierigen Menschen. Pünktlich um 7 Uhr abends kamen die beiden Prediger, Kolle und Hempert, in Begleitung von Georg Acker. Der Abend war schön und etwas ganz Neues.

Am Schluss der Stunde fragten die Prediger, ob man sich am nächsten Mittwoch wieder versammeln könnte? „Jawohl!“ war erneut die Antwort des Hausherrn. Und so kamen sie jeden Mittwoch und verkündigten das Evangelium, ganz anders als es in der Kirche geschah. Es kamen immer mehr Leute, auch die Herrn Lehrer und dir Frau Pfarrer kamen. Sie hatten ja alle keine Ahnung, worum es ging. Im ganzen Unterwalt waren noch keine „Bekehrten“. Nur Georg Acker hatte sich zwei Jahre vorher durch seinen Freund Dr. Schimert zu Jesus bekehrt. Da er sehr wohlhabend, aber auch unverheiratet war (und blieb), war er schon zweimal in die Schweiz zu Aufenthalten in Rämismühle gereist. Von dort hatte er nun auf seine eigenen Kosten Wilhelm Hempert nach Reußmarkt gebracht, damit dieser seinen Volksgenossen im Unterwald das lebendige Wort Gottes verkündige. Diese Tat hat Gott reichlich gesegnet.

So hatte der Herr damals den Schrei der verzweifelten Mutter erhört, ist in diesem Haus eingekehrt und hat sie das Heil erfahren lassen. Der Herr hat die junge Mutter und ihren Mann als Erstlingsfrucht in Großpold errettet.

Viktor Kolle ging wieder an seinen Platz nach Heltau, kam aber doch noch oft auch zu uns nach Großpold. Hempert und Acker waren nun immer unterwegs in die umliegenden Dörfer um Anknüpfungspunkte zu suchen.

 

Jene Mutter – schreibt Maria Schimpf-Sonnleitner – war meine Mutter, die sich und mich in den Brunnen stürzen wollte. Doch unser Herr hatte etwas anderes mit uns vor. Im Februar 1909 wurde ich todkrank an Scharlach. Ich hatte Fieber und Nierenentzündung und auch meine kleine Schwester wurde krank, doch nicht so schlimm wie ich.

Die Versammlung konnte einige Wochen nicht mehr in unserem Hause stattfinden. Man versammelte sich in einem anderen Haus. Aber Bruder Hempert kam oft, nach uns sehen. Und eines Tages brachte er Schwester Eliese, die Hausmutter und Mitbegründerin des „Asyls Rämismühle“, mit, die die neue Missionsarbeit von Wilhelm Hempert kennen lernen wollte.

Sie kam auch zu mir, dem schwerkranken Kind, das die Ärzte aufgegeben hatten. Sie fragten die Eltern und die Großmutter, ob sie es glauben könnten, dass der Herr Jesus das Kind gesund machen könne. Wenn nicht, mögen sie für einige Minuten das Krankenzimmer verlassen. Da sie alle drei sagten, dass sie glauben, bat sie um den Namen des Kindes und alle knieten nieder. Sie legte mir die Hände auf den heißen Kopf und betete inbrünstig zum Herrn. Die folgende Nacht kam nach langer Zeit ein guter, gesunder Schlaf über mich. Und nach drei Tagen war die Krankheit gewichen, mich verlangte zu essen. Das war ein großes Wunder in der Familie und im Dorf.

So konnten die Versammlungen wieder im Hause Sonnleitner stattfinden.

 

Im Sommer 1909 begann Hempert in Reußmarkt eine Sonntagsschule. Das war wieder etwas Neues. Wir, einige Kinder von Großpold, gingen die 5 km zu Fuß nach Reußmarkt. Na, das war ja über alles schön und wir erlebten herrliche Stunden. Man erzählte uns die schönen biblischen Geschichten, wie wir sie noch nie gehört hatten, wir lernten die Bibelsprüche und die schönen Lieder auswendig.

In Hamlesch, unserem Nachbardorf, wohin Hempert auch ging, hatte sich eine junge Frau Silmen bekehrt und die Versammlung in ihrem Haus aufgenommen. Nachdem sie einige Male in Reußmarkt in der Sonntagschule dabei war, fing sie in Hamlesch mit dieser Arbeit an.

Im Winter konnten wir nicht nach Reußmarkt gehen. Da kam aber „Onkel Hempert“ zu den Mittwochstunden früher, um uns Kindern die biblischen Geschichten zu erzählen und Lieder aus dem „Singvöglein“ zu lehren.

 

Zu der Zeit hatten meine Eltern den Schritt der Bekehrung aber noch nicht getan. Mein Vater begleitet W. Hempert nach den Versammlungen ein Stück auf dem Heimweg nach Reußmarkt, den er meistens zu Fuß machte, auch im Winter. An einem Abend, als sie beide miteinander die Straße entlanggingen, kam meinem Vater der innere Wunsch, Bruder Hempert zu bitten, mit ihm, so unter dem Sternehimmel dieses Dezembers im Schnee niederzuknien und um seine Errettung zu beten. Leider aber sagte er noch nichts. Als sie sich aber verabschiedet hatten und er allein war, kniete er doch nieder, bat um Vergebung seines bisherigen verkehrten Lebens und übergab sich dem neuen Herrn seines Lebens. Er kam als ein glücklicher Mensch heim.

Er erzählte dieses Erlebnis gleich seiner Frau, die sich so freute, dass sie nicht bis zum nächsten Mittwoch warten konnte. Sie lief am nächsten Morgen nach Reußmarkt, um Hempert diese frohe Nachricht zu bringen. Er freute sich sehr, sagte aber, dass er sich noch mehr gefreut hätte, wenn sie beide dort gekniet und gebetet hätten. Aber dazu hätten sie ja auch jetzt noch die Möglichkeit.

Mein Vater war ein ganz neuer Mensch geworden. Die Bekehrung war gründlich und echt! Der Herr setzte ihn zu einem Wunder im Dorf. Er brachte für immer mit allen alten  Leidenschaften, trennte sich von den alten Freunden soweit sie nicht seiner Einladung folgen wollten, ebenfalls dem Herrn Jesus zu folgen. Überall erzählte er von seinem Heiland und verteilte viele Traktate und Schriften.

Dann wurde er zum Richter und zum Pfarrer gerufen, gewarnt und bedroht, er solle doch die Versammlung absagen und diese falschen Propheten nicht mehr ins Haus aufnehmen. Er aber ließ sich nicht beirren. Gleich nach Neujahr  1910 begann er Sonntagschule zu halten. Und die hat bis heute nicht aufgehört! Er ging mach Reußmarkt zu Wilhelm Hempert, der ein Harmonium hatte, um die Kinderlieder zu lernen. Hempert hatte es nicht leicht, ihn und die Geschwiester in Hamlesch die benötigten Kinderlieder zu lehren. Aber er tat es aus Liebe zu seinem Herrn, in Treue und großer Freundlichkeit, womit er auch harte Herzen gewinnen konnte. Auch das Leid anderer konnte er gut verstehen, er wollte immer und überall helfen und trösten. Jemand sagte, er sei wie ein Engel. Aber das gefiel ihm nicht. Man sollte nicht auf ihn, sondern auf Jesus sehen.

Im ersten Jahr der regelmäßigen Bibelstunde hatte mein Vater einmal zur Mutter gesagt: Was soll das noch werden mit diesen Leuten, hört dies nicht mehr auf? Sie sagte: Ich denke es ist so, wie es in der Bibel steht, er sandte immer zwei und zwei in die Häuser, das Evangelium zu predigen. Die ersten zwei Jahre fragte darum Hempert jedes Mal ob die nächste Stunde wieder bei uns sein könnte. Jetzt aber war das ganz selbstverständlich.

Vater, der ein starker Trinker und Raucher war, hat von dem Neujahrstag an keine Zigarette mehr geraucht und nie mehr getrunken. Aber das Wort Gottes ist ihm kostbar geworden. Er war nicht wieder zu erkennen.

Als er wieder einmal zum Pfarrer gerufen wurde – was öfter geschah – bat dieser ihn sehr freundlich, er möge doch von der verkehrten Weg umkehren, die „Bekehrten“ aufgeben und die Missionare nicht mehr kommen lassen. Er aber sagte: „Herr Pfarrer, ich habe sie nicht gerufen, ich jage sie auch nicht weg – ich kann ihnen nur sagen, Herr Pfarrer, ich bin ein glücklicher Mensch, wie nie zuvor.“

Dann kam der Richter. Er sagte, Vater dürfe in seinem Haus keine Versammlungen mehr halten, er würde sonst zusammen mit Hempert und Acker eingesperrt. Vater sagte darauf: „Herr Richter! Ich zahle für mein Haus die Steuer und mache darin was ich will. Wenn ihr uns einsperren wollt, so lassen wir uns um Jesu Willen eben auch einsperren. Aber diesen Glauben lasse ich mir nicht mehr nehmen.“

Er hatte die Taschen immer voller Traktate, und obwohl man ihn viel verspottete, war er immer freundlich und gab diese weiter. Und immer mehr Leute kamen zum Glauben, leider meist nur die Frauen. Die Männer gingen lieber trinken, und die alten Freunde riefen auch meinen Vater immer wieder. Er aber blieb standhaft.

Bis dahin gingen meine Eltern noch jeden Sonntag auch zur Kirche. Als jetzt aber der Pfarrer in der Kirche von der Kanzel predigte, dass diese Missionare Wölfe im Schafspelz wären, die die Herde zerrissen, sie würden die Leute nur einfangen und zwingen, den Zehnten zu geben, da ärgerte sich mein Vater so sehr, dass er von nun an nie mehr in die Kirche ging. So begann er jetzt jeden Samstagabend Gebetsstunden zu halten und am Sonntagvormittag eine Andacht.

 

von Maria Schimpf-Sonnleitner

Fortsetzung folgt.